Unigestion: Zeit, die Untergewichtung von Real Assets zu beenden

  • Florian Ielpo
  • Leiter Makro-Research
  • Unigestion

FRANKFURT – Normalerweise wirken in einer Rezession deflationäre Kräfte auf die Wirtschaft, erklärt Unigestion-Manager Florian Ielpo, der dafür jedoch noch keine Anzeichen sieht. Eher dürften die makroökonomische Erholung und ein positives Lohnwachstum die Preise wieder beleben, was inflationäre Tendenzen stärken könnte.

 

Ab hier folgt die unredigierte Mitteilung des Asset-Managers:

Die zwei typischen deflationären Kräfte

In einer normalen Rezession beginnen typischerweise zwei deflationäre Kräfte auf die Wirtschaft einzuwirken, sagt Florian Ielpo, Leiter Makro-Research beim schweizerischen Vermögensverwalter Unigestion: eine direkte über Rohstoffe, die die Inflationsraten beeinflussen, und eine indirekte, die durch die Verlangsamung der Aktivität die Produktionsflaute erhöht und das Lohnwachstum senkt, wodurch ein allgemeiner deflationärer Druck entsteht. Ist diesmal anders?

Zunächst die direkten Auswirkungen auf die Rohstoffe: Der rasche Einbruch der Rohstoffnachfrage – erst seitens der Industrie und dann aufgrund der Endnachfrage – hat zu einem raschen Rückgang der Rohstoffpreise geführt. Die WTI-Ölpreise verloren 52%, während die Industriemetalle um 24% fielen. Diese Zahlen sind zwar beträchtlich, aber nicht so beeindruckend wie die von 2008. Der Rückgang der Ölpreise betrug damals 70% und 64% für Industriemetalle. Der Rückgang von 2020 liegt zwischen denen von 2008 und 2001: er war intensiv, aber kürzer als der anhaltende Nachfragerückgang von 2008. Kurzfristig dürfte sich dies zunächst auf die Headline-Inflationsindizes auswirken.

Eine weitere Auswirkung könnte angesichts des historischen 18-monatigen Feedback-Mechanismus von den Rohstoffpreisen zur Kerninflation folgen. Ein starker Rückgang der Rohstoffpreise kann sich daher längerfristig auf die Kerninflation auswirken. Aufgrund der vorübergehenden Natur der aktuellen Schrumpfung sollte dieser Effekt jedoch nicht so stark wie üblich sein; man könnte eher erwarten, dass er nur geringfügig ist. Die Ölpreise haben sich bereits teilweise erholt: In den kommenden Monaten dürften sie wieder einen positiven Beitrag leisten. Dasselbe gilt für die Industriemetallmärkte: Die derzeit niedrigere Headline-Inflation (+0,1% gegenüber dem Vorjahr in den USA) wird vermutlich nicht von Dauer sein.

Die zweite Konsequenz ist, dass mit dem Rückgang der globalen Nachfrage die Produktionskapazität erheblich zurückgegangen ist. In den USA sank die Kapazitätsauslastungsrate der Wirtschaft im April auf 64%, mit einem zaghaften Anstieg auf 64,8% im Mai. Die gleiche Zahl belief sich in der Eurozone auf 69,7%, allerdings mit einer gewissen Disparität: Diese Rate reicht von 56,7% für Irland bis 77% für Finnland. Diese beträchtliche Konjunkturflaute ist gewöhnlich ein Hinweis auf eine rückläufige Inflation in der Zukunft.

Längerfristig ist laut der Wirtschaftstheorie die Stärke der zugrundeliegenden Wirtschaft, insbesondere die Wachstumsrate der Löhne, eng mit der Wachstumsrate der Preise verbunden. Die allgemeine Vorsicht der Unternehmen, die zahlreichen temporären Entlassungsprogramme und die Unsicherheit, die sich aus der Einzigartigkeit der gegenwärtigen Situation ergibt, machen diese makroökonomische Komponente der Inflation unsicher.

Die Reflation scheint im Gange zu sein

Diese beiden Effekte würden im Falle einer „normalen“ Rezession gelten, d.h. einer Rezession, die von der Wirtschaft selbst ausgeht und nicht davon, dass jemand im März einfach den „Stop“-Knopf gedrückt hat. Im Zuge des Wiederauflebens der Weltwirtschaft halten wir es für unerlässlich, auf die Inflationsrate zu achten. Wir sehen hier zwei dynamische Entwicklungen und zugleich ein fehlendes Stück in diesem Deflationspuzzle.

Zuerst das fehlende Stück: Eine klar definierte Deflation erfordert einen Rückgang des Lohnwachstums. In den USA z.B. liegt einer der zuverlässigsten Indikatoren des Lohnwachstums der Atlanta Fed nach wie vor bei etwa 3,5% für Arbeitnehmer, die in Beschäftigung geblieben sind. Dies ist eine wesentliche längerfristige Inflationsquelle, und dürfte auch in naher Zukunft die Inflation positiv beeinflussen. Daher ist es unerlässlich, den Rückgang der Arbeitslosenquoten zu beobachten, um sich ein Bild von der Entwicklung dieser Reflation zu machen.

Zweitens, und wie bereits erwähnt, erwarten wir eine V-förmige Erholung. Diese Ansicht wird durch die jüngste Entwicklung unserer Growth Newscaster- und Nowcaster-Indikatoren gestützt. Die Wachstumsdaten zeigen nun deutliche Anzeichen einer Verbesserung, wobei 59% der Daten in beiden Indikatoren gegenüber 25% Ende April gestiegen sind.

Diese makroökonomische Verbesserung dürfte die Rohstoffmärkte weiter beleben: Seit Beginn der COVID-19-Krise hat sich der Energiemarkt weltweit um 43% erholt, während Industriemetalle um 15% zugelegt haben. Die Wirtschaftssektoren, die sich am schnellsten erholen, sind – nicht überraschend – der dauerhafte und nicht langlebige Verbrauch, insbesondere in den USA. Auch hier sollten die Wachstumskräfte der Konjunkturflaute entgegenwirken. Wir sind der Meinung, dass die wirtschaftliche Schwäche nur vorübergehend sein sollte.

Die Inflationsdaten erreichten am 18. Mai ihren Tiefststand, während die Nachrichtendaten bereits vorher zu steigen begannen. Inzwischen verbessern sich etwa 70% der Daten, und zumindest in den USA ist ein breit angelegter Beitrag der verschiedenen Komponenten der Inflation zu verzeichnen. Betrachtet man schließlich die Inflationsdaten schlechthin, so verbirgt sich hinter der US-Kerninflation von 1% im Jahresvergleich eine bemerkenswerte Inflationsrate bei der medizinischen Versorgung von 6% und bei Lebensmitteln von 3%. Der Wohnungsbau hat etwas an Schwung verloren, aber insgesamt haben bisher nur die rohstoffbezogenen Inflationskomponenten Anzeichen einer Deflation gezeigt. Wo liegen nun die Herausforderungen bei Investments in dieser konjunkturellen Reflation?

Breakevens sehen gut aus, sind aber teuer, wie die meisten Real Assets

Die Hauptfrage ist, wie viel von dieser Reflation bereits eingepreist ist. Inflations-Break-evens sind ein guter Indikator, um zu beurteilen, wie die Anleger über den künftigen Inflationsverlauf denken, da sie den Renditeunterschied zwischen nominalen und inflationsgebundenen Wertpapieren widerspiegeln. Während makroökonomischer Schocks und anschließenden deflationären Bedingungen neigen Break-evens dazu, sich schnell an sich verschlechternde Inflationserwartungen anzupassen.

Während der Krise fielen die kurzfristigen Inflations-Break-evens in den USA zum ersten Mal seit 2008 tief in den negativen Bereich. Sie stürzten von 1,3% auf -1,3% ab, ein klares Signal, dass die Finanzwelt zumindest für die nächsten 12 Monate eine Deflation befürchtete. Gleichzeitig fielen auch die langfristigen Breakevens beträchtlich, jedoch in geringerem Maße als in 2008 (die US 10-Jahre-Break-evens fielen 2020 um 1,16% gegenüber 1,80% im Jahr 2008).

Wie bei anderen makrogetriebenen Anlagen hat die Erholung in letzter Zeit an Zugkraft gewonnen, und das Tempo des Aufschwungs ist bei langfristigen Breakevens in etwa vergleichbar mit dem von 2008, bei kurzfristigen Laufzeiten schneller, wobei der Ein-Jahres-Break-even in den USA nun fast wieder das Niveau vor der Krise erreicht hat. Was die Bewertungen betrifft, so sehen die aktuellen Preise im Vergleich zur realisierten Inflation recht teuer aus: Der Core-PCE, die von der Fed bevorzugte Kennzahl, ist auf knapp 1% zurückgegangen, während die Erwartungen jetzt 1,25% für das kommende Jahr und durchschnittlich 1,6% über einen Zeithorizont von zehn Jahren betragen.

Ausblick

Vorerst verhindert dieses Bewertungselement, dass wir bei Real Assets allgemein positiv werden. Dasselbe gilt für Energie und Industriemetalle. Die realen Vermögenswerte haben sich bereits von einem großen Teil ihres Rückgangs erholt, während sie durch ihren Carry Anzeichen dafür aufweisen, dass sie teuer sind. Somit bleiben wir vorerst leicht untergewichtet bei Sachwerten. Die sich derzeit vollziehende makroökonomische Erholung zusammen mit der Stimmungsverbesserung hat uns dazu veranlasst, die meisten unserer Short Real Assets-Überzeugungen in unserer dynamischen Allokation zu eliminieren. Um dies weiter voranzutreiben, müssten wir weitere makroökonomische Fortschritte erkennen, da in naher Zukunft Gegenwind auf realen Vermögenswerten lasten könnte, wie etwa die sehr hohe Sparquote in den USA. So weit sind wir noch nicht.

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