Unigestion: Volatilität als Vertrauensspiel

  • Olivier Marciot
  • Unigestion

FRANKFURT — Auch 2019 sei trotz erhöhten geopolitischen Risiken eine dauerhaft gestiegene Volatilität ausgeblieben, sagt Olivier Marciot, Senior-Portfoliomanager bei Unigestion. Solche Ereignisse scheinen den Markt nicht mehr zu schrecken, wovon insbesondere Short-Volatility-Positionen profitieren, so seine Analyse.


Ab hier folgt die unredigierte Mitteilung des Emittenten:

„Auch 2019 blieb trotz eines erhöhten geopolitischen Risikos (Brexit, Handelskriege, Hongkong, Iran, Lateinamerika) eine dauerhaft gestiegene Volatilität aus“, schreibt Olivier Marciot, Senior-Portfoliomanager im Cross-Asset-Team beim schweizerischen Vermögensverwalter Unigestion, in seiner aktuellen Marktanalyse.

„Solche Ereignisse scheinen den Markt nicht mehr zu erschrecken. Die Anleger gewöhnen sich zunehmend an die Konstanz dieser Risiken und reagieren weniger emotional darauf. Davon profitierten besonders Short-Volatility-Positionen, unterstützt von den Zentralbanken, die weiter die Haupttreiber der Asset-Volatilität sind. Die Märkte genießen seit einigen Jahren einen kostenlosen „Zentralbank-Put“ und es besteht die Gefahr, dass die Anleger selbstgefällig werden. Werden die Zentralbanken die Finanzmärkte wieder retten, oder verliert diese freie Option ihre Konvexität?

Volatilität bietet ein finanzielles Engagement für die menschliche Unsicherheit in einer ungewissen Zukunft. Eine „Short“-Positionierung in Volatilität drückt das Vertrauen in das aktuelle Marktumfeld aus, während eine „Long“-Position die Befürchtung eines bevorstehenden Wandels widerspiegelt. Seit Draghis „Whatever it takes”-Rede im Juli 2012 bewegte sich der durchschnittliche jährliche VIX-Stand zwischen 11,11 und 17,85, während der jährliche Durchschnitt seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1990 19,3 betrug. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass die Anleger davon überzeugt sind, dass die Zentralbanken den Status quo verteidigen können.

Betrachtet man die Volatilität der Volatilität, die die Unsicherheit des Übergangs vom Status quo in eine Periode der Veränderung darstellt, so ergibt sich ein ganz anderes Bild. Die Volatilität des VIX hat sich seit 2012 kontinuierlich erhöht und erreichte im August 2015 und Februar 2018 höhere Niveaus als während der Finanzkrise.

Sind die Anleger selbstgefällig?

Hedging ist in Ungnade gefallen, aber nicht in den Augen aller Anleger. Obwohl das Halten einer Volatilitäts-Position seit längerer Zeit sehr schmerzhaft war, weisen die steile Volatilitäts-Laufzeitstruktur (kurzfristig gegen langfristig), die Volatilitäts-Verzerrung (upside gegen downside) und die teure Volatilität der Volatilität (VVIX) im Aktienbereich darauf hin, dass die Volatilitäts-Händler noch nicht selbstgefällig geworden sind. Long-Volatilitäts-Positionen standen in letzter Zeit vor zwei Herausforderungen: Erstens sind Phasen mit hoher Volatilität seit der Finanzkrise sehr selten. Zweitens waren die Volatilitäts-Spitzen sehr kurzlebig. Der VIX-Future hat seit Juli 2012 nur einen Tag über 30 und 22 Tage über 25 gehandelt.

Die aggressive Buy-the-Dip-Mentalität und die dementsprechend schnelle Volatilitäts-Umkehr waren für Portfolio-Hedges sehr schmerzhaft. Die Anleger scheinen verstanden zu haben, dass das Zeitfenster zur Monetarisierung ihrer Hedges sehr klein ist. Dieses Verhalten beschleunigte das Phänomen umso mehr. Um in ein Umfeld mit höherer Volatilität zu gelangen, benötigen wir einen erhöhten „Angstfaktor“, der den „Gierfaktor“ ersetzt.

Renditen unter Druck erhöhen die Marktanfälligkeit

Der Haupttreiber der Gier war die Jagd nach Renditen sowie die geringe Volatilität an den Finanzmärkten und in den Makrodaten. Der Verkauf von Volatilität ist nichts anderes als eine alternative Form der Rendite – und die geringe realisierte Volatilität lässt diese „Rendite“ sehr attraktiv erscheinen. Es entsteht die Illusion, dass Märkte sicherer sind und es entsteht eine gefährliche Rückkopplungsschleife. Geringere Volatilität führt zu noch geringerer Volatilität und belohnt Strategien, die systematisch auf Marktstabilität setzen, damit sie noch größere Wetten auf diese Beständigkeit abschließen können (Risikoparität, Var Control, CTA, VIX ETNs usw.).

Vor dem „Volmageddon“ im Februar 2018 verzeichnete der S&P 500 den längsten Zeitraum der Geschichte ohne einen 5%igen Rückgang (405 Handelstage). Je länger diese Zeit dauerte, umso zuversichtlicher wurden die Investoren und umso voller wurden die Positionen. Die Konsensmeinung, dass die Zentralbanken die Volatilität besiegt haben, war falsch – sie haben die Volatilität für einige Zeit gebändigt, aber dadurch haben sie die Tail-Risiken und die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Markteinbrüche erhöht.

Liquidität treibt Märkte an

Die zweite Volatilitätsspitze im Jahr 2018 folgte, als der Markt begann, die Unannehmlichkeiten der Fed-Normalisierung zu spüren. Powell weigerte sich zunächst, die Märkte zu schützen. Der Schmerz höherer Zinssätze und des zunehmenden Marktstresses im vierten Quartal war zu groß und führte die Fed schließlich im Januar zu einer Kehrtwende. Nachdem sich die Zentralbanken wieder im Lockerungsmodus befanden, verengten sich die Credit Spreads und die Aktien erholten sich, obwohl die Unternehmensgewinnschätzungen der Analysten in diesem Jahr fast jede Woche zurückgingen. Diese Anomalie ähnelt stark der vorherigen QE-Ära von 2012 bis 2016.

Im Gegensatz zu Aktien sehen wir in den Segmenten mit niedrigerem Rating an den Kreditmärkten erste Anzeichen von Bedrängnis. Ein starkes Zeichen ist der Performance-Unterschied auf dem Hochzinskreditmarkt, wo der riskanteste Teil trotz eines sehr positiven Jahrs für Risikoaktiva deutlich hinter den Werten von höherer Qualität zurückgeblieben ist.

Das Verständnis des Kreditzyklus und seiner Interdependenz mit der Geldpolitik ist entscheidend für das Timing von Volatilitäts-Geschäften. Nicht nur, weil dies ein Fraühindikator für die zurückliegenden zwei Rezessionen war, in denen sich die Hochzins-Spreads auszuweiten begannen, während die Aktienindizes weiterhin neue Höchststände erreichten, sondern auch, weil die Schwankungen der Volatilitäts-Phasen vom Kreditzyklus getrieben werden. Wenn Credit leicht verfügbar ist und die Zinssätze niedrig sind, bleibt die Volatilität unterdrückt, aber mit einer Kreditverknappung steigt die Volatilität.

Zentralbanken vs. Finanzmärkte

Die Volatilität bei Zinsen, Aktien und Rohstoffen lag über dem Stand von 2018, obwohl die globalen Zentralbanken in diesem Jahr die Zinsen 68 Mal gesenkt haben (Ausnahme: FX Volatilität). Wir sehen dies nicht als Beweis dafür, dass die Fähigkeit der Zentralbanken, Risiken zu kontrollieren, nachlässt. Solange die Anleger an das Szenario des „Zentralbank-Put“ glauben, wird es sich selbst erfüllen. Auch wenn wir das jüngste Kaufprogramm der Fed nicht als QE4 betrachten, ist es ein wesentlicher Bestandteil der finanziellen Unterstützung. Wir sind daher der festen Überzeugung, dass die Kombination aus unterstützenden Zentralbanken, einer hohen Bewertung traditioneller Anlageklassen und der Jagd nach Renditen ein hervorragendes Umfeld für die Ernte der Volatilitäts-Prämie bietet. Die Volatilitäts-Prämie ist lediglich die Vergütung, die Anleger für den Schutz vor unerwarteter Marktvolatilität erhalten. Der Spread zwischen impliziter und realisierter Volatilität hat sich zusammen mit den anderen Rendite-Proxies verschlechtert, bietet aber immer noch eine anständige und nachhaltige Rendite, die allein auf die Risikoaversion der Anleger und ihre Tendenz zur Überschätzung der Wahrscheinlichkeit signifikanter Verluste zurückzuführen ist.

Drei Dinge sind entscheidend, um den Volatilitäts-Carry-Trade erfolgreich durchzuführen. Erstens, seien Sie sich der Fragilität der Märkte und ihrer Tail-Risiken bewusst (Umsetzung). Zweitens, messen und verstehen Sie die Positionierung in impliziten und expliziten Short-Volatilitäts-Strategien (Crowding). Und schließlich, bewerten Sie das Risiko von Änderungen in der Geldpolitik und die Stabilität des Kreditmarkts (Vertrauen).

Anleger haben nach wie vor Vertrauen in das Verhalten der Zentralbanken und daher wird der Volatilitäts-Carry-Trade weiterhin als unkorrelierter, stabiler und profitabler Ertragsstrom in einem Portfolio Mehrwert schaffen.“

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