ESG: „Gut gemeint allein reicht nicht aus“

  • Dr. Manfred Schlumberger
  • StarCapital

FRANKFURT — Der Klimawandel ist die größte Herausforderung unserer Zeit, das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt die Medien und zunehmend auch die Politik. Auch Investoren und Asset-Manager wollen sich engagieren. Doch das ist leichter gesagt, als in der Praxis umgesetzt.


Ab hier folgt die unredigierte Mitteilung des Emittenten:

Das profitabelste Unternehmen der Welt bereitet seinen Börsengang vor: der Ölmulti Saudi Aramco. Es könnte der größte aller Zeiten werden. Bald schon wird das Unternehmen für Investoren an den weltweiten Börsen zu kaufen sein. Denn viele möchten etwas abbekommen vom Kuchen, der da heißt Rendite – schließlich ist man seinen Anlegern gegenüber in der Pflicht.

Die Sache hat nur einen Haken: Der saudi-arabische Ölkonzern ist für fast fünf Prozent aller von Menschen ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich. Verzichten Investoren also wirklich auf Gewinne, um nicht als Klimasünder dazustehen? Oder ist das Thema Nachhaltigkeit nur ein schöner Marketingslogan?

Beobachtet man den aktuellen Hype um das Thema Nachhaltigkeit in der Asset-Management-Branche, denkt man unwillkürlich an den berühmten Spruch frei nach Victor Hugo, dass keine Idee so mächtig ist wie die, deren Zeit gekommen ist. Kein Tag vergeht, an dem nicht ein Nachhaltigkeitsfonds aufgelegt wird oder an dem nicht ein Asset-Manager behauptet, jetzt oder 
schon immer Kriterien der Nachhaltigkeit in seinem Investmentprozess zu berücksichtigen.

Dass der Klimawandel nicht mehr nur die Idee einiger weniger Wissenschaftler ist, sondern die größte Herausforderung unserer modernen Zeit, ist im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit angekommen. Nicht zuletzt durch die „Greta-Mania“. Auch die Asset-Management-Branche muss jetzt ihre Investitionsentscheidungen überdenken.

Keine Sündenpapiere mehr

Aus diesem Grund hat die EU im Jahr 2018 den Aktionsplan „Finanzierung nachhaltigen Wachstums“ veröffentlicht. Neben dem klassischen finanziellen Renditeziel tritt nun das Motiv, nur in Wertpapiere zu investieren, die bestimmten ökologischen (Environment), sozialen (Menschen- und Arbeitsrechte) sowie moralischen Standards (Governance) genügen – die sogenannten ESG-Kriterien. Es geht dabei um eine Art „grüne“ Investitionslenkung. Genauer gesagt: Die EU will die Kapitalströme umlenken, weg von „schmutzigen“ Finanzanlagen hin zu nachhaltigen. Das erklärte Ziel: Bis 2050 soll die Wirtschaft der EU klimaneutral sein. Das Ziel ist ambitioniert, der Zeitplan straff, da wird jeder vor den Karren gespannt – auch oder insbesondere die Finanzindustrie.

In Brüssel allerdings ringt der EU-Rat noch heftig um ein Klassifikationssystem für nachhaltige Finanzanlagen („Taxonomie“). Die wichtigsten Prinzipien und Strategien für nachhaltiges Investieren sind noch nicht geklärt, die Spielregeln nicht festgelegt. Wie fair also ist ein Spiel, dessen Regeln gar nicht klar sind?

Meine Regeln, deine Regeln

Hinter dem Klassifikationssystem verbirgt sich in erster Linie eine Art Negativliste. Dort finden sich Ausschlusskriterien, die festlegen, was zukünftig keineswegs als nachhaltig gewertet werden kann. Sie sollen sicherstellen, dass nicht in Unternehmen, Branchen oder Länder investiert wird, die nicht den ökologischen, sozialen oder ethischen Anforderungen der Anleger entsprechen. Damit soll Unternehmen, die beispielsweise in Kohle investieren, künftig der Geldhahn zugedreht werden.

Klingt logisch? Zumindest für uns Deutsche oder die Wählerschaft der Grünen. Doch während Deutschland aus der Atomkraft aussteigt, steigt unser Nachbar Frankreich weiter ein und plant angeblich den Bau von nicht weniger als sechs neuen AKWs. Denn ihren Befürwortern gilt Atomkraft durchaus als klimafreundlich.

Ein Blick über den Tellerrand der EU zeigt auch, dass 80 Prozent der weltweiten Nachfrage, trotz steigender Anzahl von Wind- und Solaranlagen, weiterhin auf fossile Energieträger entfallen. Vor allem in Schwellenländern wie China und Indien steigt die Zahl der Kohlekraftwerke sogar weiter an.

Will Deutschland wiederum die gigantische Aufgabe schaffen, seine Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren, kommt es auch zukünftig um den Einsatz von „schmutzigem“ Erdgas nicht herum.

Warum gut gemeint nicht ausreicht

Nachhaltigkeit liegt also durchaus im Auge des Betrachters oder bedarf zumindest eines professionellen Researchs. Deshalb greift man zur Beurteilung von ESG-Risiken auf die Expertise von Nachhaltigkeitsratingfirmen zurück. Würden diese jedoch Unternehmen mit Heerscharen von technisch und ökonomisch beschlagenen Experten untersuchen, wäre ihre Leistung nahezu unbezahlbar.

So bleibt es beim Versenden von Fragebögen, dem Analysieren von Nachhaltigkeitsbroschüren und beim Screening von Medieninformationen. Dass es hier zu Fehleinschätzungen kommen kann, dürfte wohl kaum einen verwundern. So war der britische Ölkonzern BP im Jahr 2010 – einstmals zum am nachhaltigsten wirtschaftenden Ölunternehmen gekürt – für die schwerste Umweltkatastrophe in der Geschichte der Ölförderung verantwortlich.

Schon vor Jahren waren Unternehmen verpönt, die mit Alkohol, Tabak, Waffen, Kinderarbeit oder Gentechnik ihr Geld verdienten. Doch die Zeiten ändern sich und nur wenige heißen heute noch den medizinischen Fortschritt – und damit auch das Forschen mit Stammzellen zur Heilung von Leukämie – schlecht. Und kein Land dieser Welt wird seine Militärausgaben kürzen, wenn es sich bedroht fühlt.

Nachhaltigkeit – eine Frage der Definition

Ethik und Moral sind eben immer auch eine Frage der Definition – Nachhaltigkeit ebenso. Es ist extrem gefährlich, ganze Branchen und Technologien grundsätzlich zu verdammen oder als „grün“ zu bewerten, ohne zu wissen, wohin der technologische Fortschritt uns führt. Es ist absurd zu glauben, dass Politiker und Bürokraten heute wissen, was morgen „grün“ und „nachhaltig“ sein wird. Der Staat hat vielmehr die Aufgabe, einen ordnungspolitischen Rahmen zu schaffen, der Anreize zur Bekämpfung des Klimawandels gibt.

Dazu zählt sicherlich die Bepreisung von Klimaemissionen und der Ausbau des CO2-Zertifikatehandels. Das sind effiziente marktwirtschaftliche Lösungsansätze. Die Politik lässt auch außer Acht, dass die Bürger mit ihren Konsumentscheidungen mehr Macht gegenüber den Unternehmen und auf deren nachhaltiges Produktangebot haben als Kapitalanleger. So wundert es nicht, dass laut Meinungsforschung die wichtigsten Anlageprioritäten für Bürger die Vermeidung von Verlusten, die Rendite sowie geringe Gebühren sind. Nachhaltigkeit schafft es lediglich auf Platz 6.

Aktuell warnen mehr als 11 000 Wissenschaftler in einer gemeinsamen Erklärung, dass die bisherigen Maßnahmen für den Klimaschutz nicht ausreichen. Die Lage ist zu ernst, um nachhaltiges Investieren nur als gut gemachte Marketingkampagne zu nutzen. Vor allem aber sollte man sich vor dogmatischen politischen Entscheidungen hüten, die Bekämpfung des Klimawandels führt nicht über den Eselskarren zum Erfolg, und wie schon Oscar Wilde vor über 100 Jahren schrieb: „Von allen Posen ist die moralische die unanständigste.“

Vita
Dr. Manfred Schlumberger ist seit 2017 für die Leitung des Portfoliomanagements von StarCapital verantwortlich. Zuvor war er bei Berenberg tätig, nachdem er 15  Jahre bei der BHF Trust Vermögensverwaltung das Portfoliomanagement geleitet hatte.

Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in TiAM – Trends im Asset Management 04/2019
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