Das vermeintliche Ende der Value-Prämie

  • Norbert Keimling
  • StarCapital

FRANKFURT — Wachstumsstarke Unternehmen verbuchten allein im laufenden Jahr über 15 Prozent höhere Wertzuwächse als substanzstarke Value-Unternehmen. Auch die Vorjahre verliefen für zahlreiche Value-Investoren enttäuschend. Ist die Idee des Value-Investing endgültig überholt? Von Norbert Keimling, StarCapital.

Benjamin Graham und David Dodd stellten 1934 in ihrem Buch „Security Analysis“ die Theorie auf, dass Investoren, die in niedrig bewertete und in Ungnade gefallene Aktien investieren, Fehlbewertungen ausnutzen könnten. Dieser später von der akademischen Forschung weltweit bestätigte Value-Effekt lässt sich unter anderem damit erklären, dass Investoren vergangenes Wachstum zu weit in die Zukunft extrapolieren und als Folge das künftige Wachstum von Wachstumsunternehmen systematisch über- und das Wachstum von zuletzt enttäuschenden Unternehmen systematisch unterschätzen.

Ein Portfolio aus unterbewerteten Value-Aktien profitiert daher von positiven Überraschungen, während Wachstumsaktien deutlich anfälliger für negative sind. Tatsächlich verbuchten Value-Aktien von 1926 bis 2017 jährlich rund fünf Prozent höhere Wertzuwächse als Wachstumsaktien. Doch seitdem zeigt sich ein umgekehrtes Bild (siehe Grafik 1). Value enttäuscht in nahezu allen Regionen und nach fast allen gebräuchlichen Definitionen.

ass Faktorstrategien auch jahrelang enttäuschen können, ist wenig überraschend. Jede stetig erfolgreiche Strategie würde im Zeitverlauf so viel Kapital anziehen, dass sie sich ihrer eigenen Erfolgsgrundlage beraubt. Zyklen sind ein Preis der Outperformance. Gleichwohl stellt sich nach über zehn Jahren Enttäuschung die Frage, ob wir eine normale Schwäche durchleben oder strukturelle Änderungen ein Ende des Value-Effekts einläuten.

Gründe der Value-Schwäche

Dass nach der extrem value-starken Periode von 2000 bis 2007 eine Gegenbewertung überfällig war, erklärt hierbei nur einen Teil der vergangenen Underperformance. Entscheidender ist der Umstand, dass zahlreiche Wachstumswerte ihre überdurchschnittlichen Wachstumsraten und Rentabilitäten im aktuellen Zyklus länger als in der Vergangenheit aufrechterhalten konnten. Die übliche Enttäuschung bei Wachstumswerten blieb bislang aus, da neue Technologien bei einer fehlenden Regulierung neuer Geschäftsmodelle zahlreiche traditionelle Unternehmen ins Hintertreffen geraten ließ. Die im Niedrigzinsumfeld nach wie vor anhaltende Präferenz von konjunkturresistenten Geschäftsmodellen – gerade institutionelle Anleger suchen weiterhin „Bond-Proxys“ und meiden die traditionell in Value-Portfolios übergewichteten konjunktursensiblen Sektoren – erhöhte die Nachfrage nach Wachstumsaktien zusätzlich.

Die Folge waren ungewöhnlich starke Kursanstiege – insbesondere bei den großen Technologieunternehmen. Auch passive Investoren verstärkten diesen Trend: Aufgrund der ETF-Präferenz zahlreicher Investoren und der damit einhergehenden indexnahen Aufstellung profitierten diese großen Unternehmen überproportional.

Als Folge dieser Faktoren stiegen die Bewertungen der Wachstumswerte, was sich im Bewertungsaufschlag von Wachstumstiteln im Vergleich zu Value-Aktien anhand klassischer Value-Indikatoren zeigt (siehe Grafik 2). Wurden etwa europäische Wachstumswerte in den zurückliegenden Jahrzehnten im Mittel um 78 Prozent höher bewertet als Value-Unternehmen, kletterte dieser Bewertungsaufschlag zuletzt auf 148 Prozent. Das Ausmaß der Überbewertung von Wachstumsunternehmen war lediglich im Jahr 2000, unmittelbar vor dem Platzen der Dotcom-Blase und dem Beginn einer der value-stärksten Perioden überhaupt, auf vergleichbar hohen Werten. Auch damals schien die Idee des Value-Investings überholt.

Comeback von Value?

Ob und wann wir ein Comeback im Value-Segment sehen, hängt nicht unwesentlich davon ab, wie nachhaltig die überdurchschnittliche Rentabilität im Wachstumssegment ausfällt. Doch die Geschichte dämpft hohe Erwartungen: Überdurchschnittliche Wachstumsraten und Rentabilitäten ließen sich auch in vergangenen technologischen Innovationsphasen nie dauerhaft aufrechterhalten, sei es durch Wettbewerb oder Regulierung. Zudem bergen Faktoren wie die Auswirkungen des Handelskriegs – welche die Lieferketten im Technologiesektor überproportional treffen –, die lange vernachlässigten Gefahren einer zu starken technologischen Abhängigkeit von wenigen Technologiekonzernen – wie der Fall Huawei aufzeigte –, die immer lauter werdenden Rufe nach einer stärkeren Regulierung im Technologiesektor oder auch die Folgen kreditfinanzierter Aktienrückkäufe zu überteuerten Preisen bei zahlreichen Wachstumswerten beachtliches und bislang kaum eingepreistes Enttäuschungspotenzial.

Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass sich eine Bewertungsausweitung von Wachstum zu Value nicht dauerhaft fortsetzen kann, wäre es nicht überraschend, wenn aktuell recht große Risiken in den vermeintlich sicheren Investments liegen, die sich durch eine hohe Bewertung, hohe Beliebtheit und hohe Outperformance über die vergangenen Jahre auszeichnen. Nachdem sich nahezu alle Anleger aus dem Value-Segment verabschiedet und selbst die meisten Value-Investoren ihre Strategien aufgeweicht haben, ergeben sich hier für antizyklische Investoren langfristig interessante Chancen.

Norbert Keimling
ist seit 2004 für die StarCapital AG tätig und leitet die Kapitalmarktforschung. Zudem verantwortet er unter anderem den internationalen Aktienfonds StarCapital Priamos. Nach seinem Studium der Wirtschaftsinformatik startete er seine berufliche Laufbahn im quantitativen Research der AMB Generali in Köln.

Analysemethodik
Die empirische Kapitalmarktforschung der StarCapital AG untersucht Faktorstrategien und orientiert sich bei der Definition der Faktoren nah an der akademischen Methodik. Unter Value-Unternehmen werden insofern solche verstanden, die sich durch eine attraktive Bewertung anhand klassischer Value-Indikatoren wie dem Kurs-Gewinn-, dem Kurs-Cashflow- oder dem Kurs-Buchwert-Verhältnis auszeichnen. Entsprechend sind nach diesen Kriterien teure Unternehmen als Wachstumsunternehmen definiert. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen direkt in den hauseigenen Value-Fonds StarCapital Priamos (ISIN LU 013 734 135 9) ein.
Weitere Infos: www.starcapital.de/research

Hinweis: Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in TiAM – Trends im Asset Management 03/2019
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